AD(H)S - Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung

AD(H)S ist eine oft auftretende Störung im Kindes- und Erwachsenenalter. Ob nun mit H (H = Hyperaktivität)) oder ohne haben alle Betroffenen eines gemeinsam: Sie haben eine "anders" funktionierende Konzentrationsfähigkeit.

AD(H)S ist nicht nur negativ. Die vielen positiven Effekte wie hohe Aktivität im Erwachsenenalter, Reframing (Veränderung der Sicht auf eine Problemstellung), hohes soziales Engagement, schnelle Entscheidungsfähigkeit, Multitasking, hohe Belastbarkeit, etc. sind im täglichen Erwachsenenleben nicht wegzudenken. Die Liste der Auffälligkeiten und Minderleistungen bei AD(H)S im Kindesalter ist dagegen sicherlich Seiten füllend. Bringt man das Störungsbild einmal in seiner Auswirkung auf eine minimale Beschreibung, so muß man den Bereich des Arbeitsspeichers (Kurzzeitspeicherung) und der Fokussierung als ursächlichste Störung benennen.

Der Arbeitsspeicher (Kurzzeitspeicherung) ist die Fähigkeit Informationen kurz aufzunehmen und für ca. 20-30 Sekunden zu speichern.

Beispiel: Sie brauchen eine Telefonnummer. Ihr Gesprächspartner teilt Ihnen die Zahlenreihenfolge mit, Sie können die Nummer wählen, danach erlischt die Gedächtnisspur.

Nur wenn Sie sich mit dem Inhalt des Speichers beschäftigen, Ihnen fällt z.B. auf, dass die Nummer Ihr Geburtsdatum ist, wird der Inhalt länger als 20-30 Sekunden gespeichert. AD(H)S Betroffenen fällt es sehr schwer den Arbeitsspeicher für 20-30 Sekunden aufrecht zu erhalten. Oft steht der Speicher nur viel kürzer zur Verfügung, die Gedächtnisspur erlischt zu schnell. Als Folge können Betroffene nur schwer „uninteressante“ Inhalte speichern oder verarbeiten.

Die Fokussierung ist die Möglichkeit die Aufmerksamkeit auf einen Inhalt, ein Objekt zu fixieren. Der Fokus kann bei AD(H)S nicht lange aufrechterhalten bleiben. Die Folge ist eine Weitschweifigkeit, die sich in leichter Ablenkbarkeit und im Verhalten darstellt. Der Betroffene verliert den Faden, scheint nicht mehr zu zuhören, wirkt verträumt oder genervt.

3 Formen der Störung werden in der Literatur (DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of the American Psychiatric Association, 1994))beschrieben:

  • DSM-IV 314.0 (ICD-10 F98.8) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung,
    vorwiegend unaufmerksamer Typus
  • DSM-IV 314.O1 (ICD-10 F90.1) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung,
    vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typus
  • DSM-IV 314.01 (ICD-10 F90.00) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung,
    Mischtypus

Im therapeutischen Alltag ist diese Einteilung zu grob. Außerdem wird der Schweregrad der Betroffenheit nicht mitberücksichtigt. Eine fahrlässige Vernachlässigung in den Diagnostischen Kriterien. Wissen wir doch heute, dass es durchaus geringer ausgeprägte AD(H)S Betroffene gibt, die sehr gut ihre Störung im täglichen Leben einsetzten, bzw. ohne ihre AD(H)S Eigenschaft ihrem Beruf nur viel schwerer nachkommen könnten. Außerdem gibt es durchaus Typus-Wechsler, die im Laufe Ihrer Entwicklung verändern.

Nehmen wir trotzdem einmal die Grobunterteilung für eine kurze Beschreibung der Störungsbilder im Kindesalter. In der Erklärung bleibe ich bei der vereinfachten männlichen Form für den Typus. Selbstverständlich sind auch Mädchen und Frauen vom AD(H)S betroffen, auch wenn im Text nur das männliche Beispiel beschrieben wird.

Der vorwiegend hyperaktiv-impulsive Typus

Sein Regelverhalten fällt besonders stark auf. Ihm fällt es schwer die Regeln einzuhalten, dadurch wirkt er aufsässig, schlecht erzogen – ein Störenfried. Sein Verhalten wirkt, besonders in Gruppen oder in reizüberfluteten Situation oft kaspernd, störend, gereizt, aggressiv.

Ganz anders wird es wenn er sich für etwas interessiert oder man ihn alleine antrifft. Er ist ruhiger, kann sich besser an Regeln halten, von Aggressionen und Gereiztheit keine Spur – er ist ein anderes Kind. Schnell ist eine Erklärung gefunden: Der hat einfach keine „Lust“, ist schlecht erzogen und aufsässig. Die Chancengleichheit sinkt gegen null.

Seine Konzentrationsfähigkeit ist geprägt von Weitschweifigkeit und Impulsivität. Immer wenn ihm die Konzentration abhanden kommt wird er aktiver um sich zu stimulieren – wieder wach zu machen. Da kommt der Stuhlnachbar im Stuhlkreis oder in der Schule gerade recht, der wird angeschubst, geärgert oder nur abgelenkt. Dieses Verhalten wird oft fälschlich als Aggression gewertet. Der Ursprung des Verhaltens ist nicht die Lust am Verletzten sondern eine Notwendigkeit um seinen Wachzustand wieder hochzufahren. Sehr oft sind die kleinen AD(H)S-ler nach ihrer Tat entsetzt über das Ausmaß des Schubsers und wollen den Betroffenen trösten. Das Umfeld registriert diesen Versuch leider nur selten richtig, sonders stopft ihn noch weiter in die Schublade aggressives Kind.

Sein Bewegungsverhalten ist geprägt von schnellen, flüchtigen und oft wenig gesteuerten Abläufen. Treppen werden hoch gerannt, kurze Strecken im Eiltempo hinter sich gebracht, Aktivitäten im Freien nach längerer erzwungener Konzentrationsleistung sind oft völlig ungebremst. Blaue Flecken, kleine und große Verletzungen sind nicht immer die Regel, aber auch keine Ausnahmeerscheinung. Auch hier wirkt er oft aggressiv, da er den Körperkontakt sucht. Immer ist die Stimulation im Vordergrund um wieder „wach“ zu sein.

Die Diagnose fällt beim diesem Typus gerade zu leicht. Bereits im Kindergartenalter fällt er, weil sehr anstrengend, auf. Aufgrund der frühen therapeutischen Interventionsmöglichkeit ist die Prognose aus meiner Erfahrung die Beste.

Der vorwiegend unaufmerksame Typus

Sein Regelverhalten ist nicht ausgeprägt gestört. Er hält sich oft eher im Hintergrund auf, wirkt verträumt, abwesend. In Gruppen oder Situation mit starken Außenreizen zieht er sich mehr und mehr zurück, spielt häufig allein und beinahe monoton mit den selben Spielsachen oder Spielsituationen werden immer wieder kopiert. Alle Tätigkeiten und Spiele die er gerne macht, die sein Interesse wecken, werden gut und ausgeprägt ausgeführt und beherrscht. In der alltäglichen Kindergartensituation fällt er oft jahrelang kaum auf, wird sogar oft überschätzt und ist schlicht pflegeleicht.

Seine Konzentrationsfähigkeit ist geprägt durch Verträumtheit, Vergesslichkeit und Hyperfokussieren. Letzteres meint den Zustand des im Spiel oder Tätigkeit Versinkens. Besonders bei täglich wiederkehrenden Tätigkeiten werden die Eltern auf eine extreme, oft die Kraft überschreitende Geduldsprobe gestellt. Schon das simple Schuhe anziehen oder Jacke holen endet oft immer in zeit- und raumverlorenem Spiel aus dem der AD(H)S Betroffenen wieder „erweckt“ werden muß. Er scheint tägliche Abläufe einfach immer wieder zu vergessen, muß ständig erneut erinnert werden. Er sucht weniger die konstante Stimulation als eher die Reizreduktion und Vertrautheit bekannter Situationen. So werden z.B. immer wieder dieselben Hörcassetten, CD´s und Kinderfilme von ihm bevorzugt. Auch hier scheint er eher das Vertraute, Bekannte zu suchen um seine Konzentration aufrechtzuerhalten.

Sein Bewegungsverhalten ist nicht zwangsläufig ruhig und verträumt. Er kann genauso „aufdrehen“ wie der der vorwiegend hyperaktiv-impulsive Typus, ist aber auch in den Bewegungsabläufen eher verträumt und abwesend.

Die Diagnose dieses Typus erfolgt leider oft erst spät, meist im letzten Drittel des Grundschulbesuches. Die manifestierten Lernprobleme und das bereits erhebliche Störungsbewußtsein des Kindes macht die Behandlung ungleich schwerer und langwieriger als beim vorwiegend hyperaktiv-impulsive Typus.

Der Mischtypus

Nimmt man nun von beiden beschrieben Typen die Eigenschaften, mischt sie gut, so bekommt man die perfekte Beschreibung des Mischtypus. Ist er in einer Situation impulsiv und stimulations-suchend, so kann er in den nächsten Stunden verträumt, vergesslich und introvertiert sein. Die Beurteilung durch Fachleute und Umwelt wird durch diese „Unberechenbarkeit“ noch schwerer, bleiben doch vor allem alle negativen Eindrücke beim Beobachter haften.

Die Diagnosestellung findet, der Ausprägung entsprechend in die eine oder andere Richtung, früh oder erst spät statt.

Diese Beschreibungen kommen der Realität nur begrenzt nahe. Ist es doch eher so, dass zwischen dieser schwarz-weiß Klassifizierung noch viele Grautöne liegen. So gibt es zwischen den beschrieben Typen noch weitere Typen, aber auch die unterschiedlichen Schweregrade beeinflussen das Erscheinungsbild erheblich und machen zu dem unterschiedliche Therapieverfahren notwendig. Nur leicht betroffene kommen sehr oft nur mit einem unterstützenden und klaren Erziehungsstil aus, wohingegen stark betroffene Kinder kaum ohne Medikation auskommen können, ohne die Kindheit unbeschadet zu überstehen.

Die Ursachen des AD(H)S liegen zunächst in einer Störung des Neurotransmitterhaushaltes in Teilen des Gehirns. Jetzt etwas einfacher, dafür aber auch länger.

Heute weiß man, Dank guter Forschungsarbeiten aus Deutschland, Amerika und vielen anderen Ländern, dass die Ursache des AD(H)S in der Bereitstellung und dem Transport der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin liegt. Zur Informationsweiterleitung und Bereitstellung von Hirnaktivitäten werden im Hirn rhythmisch elektrische Spannungen aufgebaut. Das Signal wird an den Verbindungen zwischen den Gehirnzellen, den Synapsen, unterbrochen. Zur Weiterleitung werden zwischen den Synapsen Stoffe ausgetauscht, die Neurotransmitter.

Besonders im Frontalhirn, also im Stirnbereich, gibt es beim AD(H)S eine Unterbrechung der Verbindung. Der Neurotransmitter Dopamin wird nicht lange genug bereitgestellt und das Signal unterbrochen wird. Es unterbleibt der rhythmisch synchrone Informationsaufbau in den betroffenen Arealen, die Hirnzellen können nicht synchron arbeiten, die Konzentration wird nicht lange genug aufgebaut.

Ich habe vergessen zu erwähne wie viele Synapsen es gibt. Die Anzahl der Hirnzellen beträgt ca. hundert Milliarden Nervenzellen. Jede einzelne Nervenzelle kann mit bis zu 10 000 anderen Nervenzellen in Verbindung treten. Unvorstellbar viele Verbindungen liegen in unserem Gehirn vor.

Die Therapie erfolgt multimodal. Neben der medikamentösen Therapie, die in der pharmakonzerngeprägten USA und BRD dominiert, sind begleitende Therapieverfahren unerlässlich. Als besonders erfolgreich haben sich Verhaltenstherapie, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Neurofeedback erwiesen. Während die klassischen Therapieverfahren Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie auf die komorbiden Störungen (Begleitstörungen wie Störung der Feinmotorik und Grobmotorik, LRS, Sprachstörungen, usw.) abzielen und gute Ergebnisse liefern, ist die Verhaltenstherapie sinnvoll zum Aufbau einer Lermleistungsbereitschaft des Kindes und zur Unterstützung der elterlichen Erziehung. Erst in letzter Zeit wird ein weiteres erfolgreiches Therapieverfahren, das Neurofeedback, aus USA importiert. Eigentlich unverständlich, sind die Ursprünge der Ableitung von Hirnwellen doch dem deutschen Forschertum zu zuschreiben. Diese gemessenen Hirnwellen sind Basis für das Neurofeedback, da sie Aufschluß geben über den Konzentrationszustand. Wie der Name bereits vermuten lässt, wird eine Rückmeldung (Feedback) generiert. Im Falle des Neurofeedbackverfahrens erfährt der Patient über ein intelligentes Messverfahren und Computerprogramm eine Rückmeldung über seinen Konzentrationszustand. Messung und Rückmeldung erfolgen in Echtzeit, so dass, bei entsprechender Eigensteuerung der Konzentration ein Lerneffekt möglich ist.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen aus USA und Deutschland, sowie die Therapiererfahrungen der Therapeuten machen deutlich, dass das Neurofeedbackverfahren in absehbarer Zeit einen großen Anteil der AD(H)S Therapie ausmachen wird. Das die Therapie bisher nur wenig eingesetzt wird liegt zum einen an den hohen Anschaffungskosten, aber auch dem sehr aufwendig zu lernenden Therapieverfahren.

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Praxis für Ergotherapie
Margret und Michael Förster
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